Betriebliche Altersversorgung (bAV) im Rahmen einer Due Diligence
Betriebliche Altersversorgung (bAV) im Rahmen einer Due Diligence
Dipl.-Mathematiker Dr. rer. nat. Joachim Lutz
Due Diligence ist das zentrale Instrument, um Risiken bei Unternehmensakquisitionen frühzeitig zu erkennen. Hiermit werden Planungsrechnungen plausibilisiert, um so das Kaufobjekt adäquat zu bewerten. Besteht ein betriebliches Versorgungswerk, insbesondere in Form unmittelbarer Pensionszusagen oder einer pauschal dotierten Unterstützungskasse (also eine interne Finanzierungsform und kein externer versicherungsförmiger Durchführungsweg), kann der Wert dieser Versorgungsverpflichtungen einen nicht unwesentlichen Einfluss auf den Kaufpreis der geplanten Transaktion haben.
I. Beispiel Unmittelbare Pensionszusagen
Es besteht eine betriebliche Versorgungsordnung in Form unmittelbarer Pensionszusagen, die Anwartschaften sehen Alters-, Invaliden- und Hinterbliebenenrenten vor. Es handelt sich dabei um feste Euro-Beträge, die für fünf Versorgungsgruppen pro Dienstjahr zugesagt wurden. Feste Altersgrenze war ursprünglich das 65. Lebensjahr, die Witwenrente beträgt 60% der Berechtigtenrente. Vorgezogene Altersrenten (heute ab Alter 63) werden in Höhe der erdienten Anwartschaft gewährt (also ohne prozentuale Kürzungen).
Das Versorgungswerk wurde 2005 für neu eintretende Mitarbeitende geschlossen, außerdem wurden die Anwartschaften im Rahmen einer einschränkenden Neuordnung auf die zeitanteilig erdienten Anwartschaften eingefroren (Besitzstand gem. BAG-Rechtsprechung). Zusätzlich wurde im Rahmen der Neuordnung eine Anpassungsregelung für die laufenden Rentenmit 1% pro Jahr des Rentenbezugs analog § 16 Abs. 3 Nr. 1 Betriebsrentengesetz (BetrAVG) vereinbart. Es bestehen aktuell (31.12.2022) insgesamt 402 Pensionsverpflichtungen, davon 61 Aktive, 89 Ausgeschiedene mit unverfallbaren Anwartschaften und 252 Rentenbezieher.
Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts aus dem Jahr 2015 wurde die Altersgrenze 65 auf die gesetzliche Regelaltersgrenze66fürGeburtsjahrgänge1953 bis1961 bzw. 67 für Geburtsjahrgänge ab 1962 angepasst (die gesetzliche Regelaltersgrenze 65 galt weiterhin für Geburtsjahrgänge bis 1952, dieser Personenkreis hat das Pensionsalter aber längt überschritten und befindet sich somit im Ruhestand). Die Pensionsrückstellungen in der Handelsbilanz (BilMoG und IFRS) werden mit dem Barwert auf das Finanzierungsendalter Regelaltersgrenze (66 bzw. 67 in Abhängigkeit vom Geburtsjahrgang) bewertet. Ehemalige Mitarbeiter, die vor 2007 mit einer unverfallbaren Anwartschaft ausgeschieden sind, werden auf die ursprüngliche feste Altersgrenze 65 bewertet. Eine Fluktuation wurde nicht berücksichtigt, da die Anwartschaften schon in voller Höhe (Stand 2005) erdient sind und weitere Steigerungen nicht mehr möglich sind (entsprechend einschränkender Neuordnung im Jahr 2005). Der Rechnungszins für die Handelsbilanz (BilMoG) betrug zum 31.12.2022 1,78% (von der Deutschen Bundesbank nach Maßgabe der Rückstellungsabzinsungsverordnung mit 10-Jahresdurchschnitt ermittelter Zins, Stand Dezember 2022). Außerdem wird die fest vereinbarte Rentendynamik von 1% p.a. bei der Bewertung berücksichtigt. Für die Steuerbilanz beträgt der gesetzliche Rechnungszins 6% gem. § 6a EStG. Biometrische Wahrscheinlichkeiten (wie z.B. für Sterblichkeit und Invalidisierung) ergeben sich aus den „Richttafeln 2018 G“ von (Heubeck-Richttafeln-GmbH, Köln). Zum Ende des Geschäftsjahres 2022 (Bilanztermin 31.12.2022) wurden folgende Pensionsrückstellungen bilanziert (in TEuro) (eigene Bewertungen):
Aktive 2400 (HB) und 1100 (StB)
Ausgeschiedene 3300 (HB) und 1700 (StB)
Rentner 18600 (HB) und 13600 (StB)
Gesamt 24300 (HB) und 16400 (StB).
1. Versteckte bilanzielle Risiken
a) Vorgezogene Altersrenten
Die Versorgungsordnung sieht keine Kürzungen bei vorgezogener Inanspruchnahme der Altersrente vor Erreichen der Regelaltersgrenze 66 bzw. 67 vor, d.h. die erdiente Altersrente (Wert, der 2005 im Rahmen der einschränkenden Neuordnung festgeschrieben wurde) wird in gleicher Höhe bei Erreichen der Regelaltersgrenze oder auch vorgezogen z.B. im Alter 63 fällig. Bei vorgezogenen Altersrenten sieht die Versorgungsordnung zurzeit keine prozentuale Kürzung vor (z.B. 0,3% je Monat der vorgezogenen Inanspruchnahme analog der gesetzlichen Rentenversicherung oder 0,5% je Monat bei versicherungsmathematischer Äquivalenz). Solche prozentualen Kürzungen sind nach der BAG-Rechtsprechung ausdrücklich als Ausgleich für die längere Rentenlaufzeit zulässig, sie müssen aber rechtswirksam vereinbart werden, um sie anwenden zu können. Eine solche Kürzungsregelung sieht die Versorgungsordnung/Betriebsvereinbarung im Beispielfall nicht vor. Die feste Altersgrenze in der bestehenden Versorgungsordnung war das 65. Lebensjahr. Das BAG hatte mit Urteil vom 15.5.2012 (3 AZR 11/10, BB 2012, 2630 m. BB-Komm. Reichenbach) entschieden, dass die feste Altersgrenze von65 Jahren in Versorgungsordnungen, die vor Inkrafttreten des Rentenversicherungs-Altersgrenzenanpassungsgesetzes vom 20.4.2007 eingerichtet wurden, regelmäßig dahingehend auszulegen sind, dass damit auf die gesetzliche Regelaltersgrenze (65–67) Bezug genommen werden soll. Die Anwendung der Regelaltersgrenze wurde von dem Unternehmen nach dem BAG-Urteil schriftlich dokumentiert. Da viele Arbeitnehmer die Altersrente vorgezogen abrufen (Rechtsgrundlage § 6 BetrAVG) und aufgrund des Verzichts auf Kürzungen zum Ausgleich einer längeren Rentenlaufzeit ein zusätzlicher Anreiz hierzu besteht, wird die Pensionsverpflichtung der Anwärter (Aktive und Ausgeschiedene mit unverfallbarer Anwartschaft) bislang zu niedrig bilanziert. Das gewählte Finanzierungsendalter 67 unterstellt, dass die zugesagte Altersrente in diesem Alter abgerufen wird, d.h. der handelsrechtliche Barwert der Anwartschaft auf Altersrente sieht eine Diskontierung vom Bewertungsstichtag (Bilanztermin 31.12.2022) bis zum 67. Lebensjahr vor. Wenn dann der Versorgungsberechtigte die (ungekürzte) Altersrente mit Erreichen des 63. Lebensjahres abruft, springt die Pensionsrückstellung zum Ende des Wirtschaftsjahres, in dem der Rentenbeginn liegt, auf den Barwert der laufenden Altersrente. Die versicherungsmathematische Äquivalenz für eine längere Rentenlaufzeit von einem Jahr wird durch eine Kürzung der zugesagten Altersrente um ca. 6% erreicht. Bei einem Vorziehen der Altersrente um z.B. 4 Jahre (Alter 63 bei fester Altersgrenze 67) müsste also eine Kürzung der vorgezogenen Altersrente um 24% erfolgen, um eine höhere Pensionsverpflichtung zu vermeiden bzw. einen versicherungsmathematisch äquivalenten Ausgleich zu schaffen. Oder anders ausgedrückt, der Barwert steigt um ca. 24% bei Inanspruchnahme der Rente ab Alter 63 gegenüber der bilanzierten Rückstellung auf Endalter 67. Da die Versorgungsordnung keine Kürzungen bei vorgezogenen Altersrenten vorsieht, hätte die handelsbilanzielle Bewertung der Pensionsrückstellungen für Anwärter auf das Finanzierungsendalter 63 erfolgen müssen, um die Verpflichtungen korrekt abzubilden. Zum Ende des Geschäftsjahres 2022 (Bilanztermin 31.12.2022) würden sich dann folgende Pensionsrückstellungen für die Handelsbilanz ergeben (in TEuro):
Aktive (61 Personen) 3000
Ausgeschiedene (89) 3800
Rentner (252) 18600 (unverändert)
Gesamt 25400,
also insgesamt TEuro 1100 mehr (plus 4,5%). Außerdem würden auch die steuerwirksamen Pensionsrückstellungen (§ 6a EStG) mit dem Finanzierungsendalter 63 steigen, also ein zusätzlicher positiver Effekt.
b) Rententrend 1% p. a. (§ 16 Abs. 3 Nr. 1 BetrAVG)
Die Möglichkeit zur Anpassung laufender Renten mit 1% pro Jahr bei gleichzeitigem Wegfall der Anpassungsprüfungspflicht alle 3 Jahre (§ 16 Abs. 3 Nr. 1 BetrAVG) wurde erst im Jahr 1998 in das Betriebsrentengesetz aufgenommen. Die Übergangsregelung des § 30b BetrAVG beschränkt diese Möglichkeit der festen Anpassungsdynamik von mindestens 1% p. a. aber auf Zusagen, die nach dem 31.12.1998 erteilt wurden, also im Ergebnis auf Mitarbeiter, die ab dem 1.1.1999 in das Unternehmen eingetreten sind. Diese Übergangsregelung wurde vom Bundesarbeitsgericht mit Urteil vom 28.6.2011 (3 AZR 282/09, DB 2011, 2923) ausdrücklich bestätigt. Wesentliches Argument für das BAG war die Begründung des Gesetzgebers zu dieser Übergangsregelung, dass hiermit nämlich hohe Steuerausfälle für Bestandszusagen verhindert werden sollten (die feste Rentendynamik ist steuerrechtlich rückstellungsfähig!). Die Regelung zur festen Rentendynamik von 1% p.a. wurde im Jahre 2005 im Rahmen einer Gesamtbetriebsvereinbarung beschlossen (also 6 Jahre vor der BAG-Entscheidung). Bislang hat zwar noch kein Rentner des Unternehmens gegen diese Regelung geklagt, was wahrscheinlich auch auf die niedrigen Teuerungsraten seit 2005 bis 2021 zurückzuführen ist. Bei der aktuellen Inflationsentwicklung seit 2022 kann sich diese Situation aber schnell ändern. Wenn der erste Rentner mit Bezug auf das BAG-Urteil vom 28.6.2011 eine höhere Rentenanpassung auf Basis Inflationsausgleich (§ 16 Abs. 1 BetrAVG) fordert, wird sich das unter den ehemaligen Kollegen schnell herumsprechen. Daher sollte im Rahmen der Due Diligence eine alternative Bewertung der Pensionsverpflichtungen mit einem Rententrend von z.B. 2% (Zielgröße der EZB) oder auch höher (2,5 bis 3%) vorgenommen werden. Bei einem Rententrend von z.B. 2% würden sich zum Ende des Geschäftsjahres 2022 (Bilanztermin 31.12.2022) folgende Pensionsrückstellungen für die Handelsbilanz ergeben (in TEuro):
Aktive (61 Personen) 2800
Ausgeschiedene (89) 3800
Rentner (252) 21000
Gesamt 27600,
also insgesamt TEuro 3 300 mehr (plus 13,6%).
Beide Variationen zur handelsrechtlichen Bewertung der Pensionsverpflichtungen (Finanzierungsendalter 63 für Anwartschaften und Rententrend 2% für alle Versorgungsverpflichtungen) würden zu einer Mehrrückstellung von TEuro 4700 oder 19% führen. Zusätzliche Steigerungen der handelsbilanziellen Pensionsrückstellungen würden sich bei einem angenommenen Rententrend von 2,5 oder 3% ergeben.
2. Weitere rechtliche Risiken
Die Kürzung der Steigerungsbeträge auf Null für alle ausstehenden Dienstjahre ab 1.1.2006 wurde nicht in einer Betriebsvereinbarung geregelt. Aus arbeitsrechtlicher Sicht hätte dieser Sachverhalt aber in einer ablösenden Betriebsvereinbarung dokumentiert werden müssen (die Versorgungsordnung basiert auf einer Gesamt-Betriebsvereinbarung). Die Kündigung einer Betriebsvereinbarung führt nicht automatisch dazu, dass die Inhalte der bestehenden Betriebsvereinbarung keine Wirksamkeit mehr für künftige Dienstjahre entfalten. Die Kündigung führt zunächst lediglich dazu, dass neue Mitarbeiter, die nach Ende der Kündigungsfrist in das Unternehmen eintreten, keine Anwartschaften auf betriebliche Altersversorgung auf Basis dieser Versorgungsordnung erdienen können. Das Einfrieren auf den Besitzstand zum 31.12.2005 ohne weiteres Anwachsen der Anwartschaften in künftigen Dienstjahren könnte lediglich aus den Schreiben an die Mitarbeiter vom Januar 2006 abgeleitet werden. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Mitarbeiter diesem Schreiben nicht widersprochen haben. Ein solches Schreiben mit der Dokumentation der Höhe der erdienten Rentenanwartschaft wurde von dem Unternehmen jedem aktiven Mitarbeitenden zur Verfügung gestellt. Trotzdem ergibt sich noch ein latentes Risiko, da die Kürzung formalrechtlich nicht korrekt umgesetzt wurde.
II. Externer Versorgungsträger
1. Beispiel Unterstützungskasse
Das Modell der pauschal- oder reservepolsterdotierten Unterstützungskasse bietet im Rahmen der – allerdings engen – steuerlichen Grenzen einen hohen Grad der Flexibilität und unternehmerischen Steuerungsmöglichkeiten in der Finanzierung der betrieblichen Altersversorgung. Es besteht kein Zwang zur Dotierung der Unterstützungskasse (abweichend zur Passivierungspflicht bei Pensionsrückstellungen unmittelbarer Pensionszusagen), die Zuwendungen können ertragsabhängig vorgenommen werden. Es besteht auch kein steuerliches Nachholverbot, die nicht vorgenommenen Zuwendungen können in späteren Wirtschaftsperioden nachgeholt werden. Die Deckungsmittel der Unterstützungskasse können ohne großen Verwaltungsaufwand dem Trägerunternehmen wieder als Liquidität im Wege der Darlehensgewährung zur Verfügung gestellt werden. Die Darlehenszinsen sind i.d.R. steuerwirksame Betriebsausgaben. Die Darlehensgewährung der Unterstützungskasse an das Trägerunternehmen führt wie die Bildung von Pensionsrückstellungen zu positiven betriebswirtschaftlichen Auswirkungen auf die Liquidität, die Rentabilität und die Kapitalausstattung des Unternehmens. Die Effekte sind jedoch bei der Unterstützungskasse geringer anzusetzen als bei der Bildung von Pensionsrückstellungen, da der steuerlich begünstigte Dotierungsrahmen für die Unterstützungskassen nach § 4d EStG bei einem leistungsorientierten Versorgungswerk nur ca. 30–50% der steuerlich zulässigen Pensionsrückstellungen beträgt, so dass in diesen Fällen ein Unternehmen durch Einrichtung einer Unterstützungskasse auf ca. 15 bis 20% der mit der Bildung von Pensionsrückstellungen zu erzielenden Steuereffekte verzichtet.
a) Handelsbilanziellen Verpflichtungen
Für mittelbare Pensionsverpflichtungen wie z.B. die Unterstützungskasse besteht zwar keine Passivierungspflicht. Trägerunternehmen in der Rechtsform einer Kapitalgesellschaft müssen aber eine eventuelle Unterdeckung im Anhang zur Bilanz ausweisen. Hierzu müssen die Pensionsverpflichtungen der Unterstützungskasse nach § 253 HGB (Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz) bewertet werden. Die Differenz dieses Wertes zum jeweiligen Kassenvermögen ist im Anhang zur Bilanz darzustellen. Da für die Unterstützungskasse nur ein Reservepolster in Höhe von zwei Jahresrenten oder 20% des zugesagten Alterskapitals dotiert werden kann und der handelsrechtliche Barwertfaktor in der Größenordnung 15 bis 20 liegt (abhängig insbesondere vom Rechnungszins, Rententrend und Rentenbeginnalter), ergibt sich systembedingt eine hohe Unterdeckung, die für die Due Diligence relevant ist. Diese liegt i.d.R. auch deutlich über den Werten für unmittelbare Pensionszusagen.
III. Einbindung eines bAV-Beraters
Die beiden Praxisbeispiele zur betrieblichen Altersversorgung machen deutlich, dass betriebliche Versorgungswerke insbesondere in den Gestaltungsformen unmittelbare Pensionszusagen und pauschaldotierte Unterstützungskassen hohe Risiken sowohl in den bilanziellen Ausweisen als auch in den rechtlichen Ausgestaltungen enthalten können, die für die Kaufpreisfindung des Unternehmens nicht unterschätzt werden dürfen. Daher sollte im Rahmen der Due Diligence einer Unternehmensakquisition ein Gutachter und Berater für betriebliche Altersversorgung zur Analyse und Aufdeckung der versteckten Risiken der bestehenden betrieblichen Versorgungsverpflichtungen hinzugezogen werden.
Veröffentlichung in der Zeitschrift, "StB Der SteuerBerater" 11-2023. Den gesamten Artikel finden Sie als PDF-Anhang.
